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„Es atmet sich leichter in der Ukraine“

Die Euro-Vision der ukrainischen Pop-Ikone Ruslana Lyzhichko nach der Orangen Revolution.

redaktionsbüro: Eduard Steiner
Ruslana Lyzhichko:
- Reden Sie lieber über Musik oder Politik?
- Über Musik natürlich. Politik ist langweilig.
- Trotzdem: Wie fühlen Sie sich in der Ukraine acht Monate nach der Revolution?
- Für die Ukraine ist dies jetzt wahrscheinlich der glücklichste Moment. Erst vorige Woche haben wir den Tag der Unabhängigkeit in einer tollen Atmosphäre gefeiert. Ich sehe, dass die Leute glücklich sind. Wenn Sie mich fragen, dann ist diejenige Politik gut, die die Leute nicht beim Leben stört. Die jetzige stört nicht mehr. Ich bin ein glücklicher Mensch und will nur, dass es in Zukunft noch besser wird.
- Ist die Aufbruchsstimmung der Revolution immer noch spürbar?
- Ich denke, wenn die Notwendigkeit bestünde, würden die Leute sich binnen einer Sekunde wieder zum Protest versammeln. Die Eindrücke der Revolution haben sich in uns allen tief eingeprägt. Am meisten sind die Leute stolz darauf, dass alles friedlich und fröhlich abgelaufen ist – ohne einen Tropfen Blut. Niemand wollte eine Waffe in die Hand nehmen. Wenn ich heute von irgendwelchen Anschlägen, Raufereien oder kriegerischen Handlungen höre, steht für mich nun fest, dass man das alles durchaus auch friedlich lösen könnte.
- Was hat sich wirklich in der Ukraine geändert? Die Menschen?
- Ja, die Leute, aber auch vieles andere. Sehr viele neue Projekte wurden bis zum heutigen Tag in die Wege geleitet – ökonomischer oder kultureller Art. Es ist ein neuer Antrieb, eine neue Bewegung mit neuen Ideen. Mir scheint, dass es auch Europa leichter ums Herz wurde, als die Ukraine den Weg der Demokratie einschlug.
- Nicht alle sehen die Veränderungen so. Es heißt, dass es auf dem Reformweg nicht besonders vorangeht; außerdem sind bald Wahlen und ein verbissener Wahlkampf hat begonnen.
- Nein. Schreiben Sie so, wie ich es Ihnen gesagt habe: nämlich, dass die Politik uns nicht mehr beim Leben stört. Es atmet sich leichter in der Ukraine, das ist das Wichtigste. Wenn du leicht atmest, dann hängt alles weitere nur mehr von dir selbst ab. Jeder kann sagen, was er sagen will. Jeder kann machen, was er will. Das ist die Freiheit.
Nach den Ereignissen der Revolution begann man in ganz Europa der ukrainischen Kultur und Tradition starke Aufmerksamkeit zu schenken. Die Ukraine wird mit ihrem Potenzial viel Interessantes aufzubieten haben. Das kann zwar nicht binnen weniger Tage vonstatten gehen, aber es wird passieren. Für die Politik kann ich nicht die Hand ins Feuer legen, aber für die Kultur ganz sicher.
- Hat es Sie verwundert, dass damals so viele Leute auf die Straße gingen?
- Wissen Sie, die meisten haben – wie ich – gar nicht geglaubt, dass so etwas bei uns vor sich gehen kann. Sie fragten: „Ist es möglich, dass das wir sind?“ Mir scheint, da kam etwas von oben, fast wie ein Wunder. Ich möchte nicht damit prahlen, dass die Ukraine erfolgreich ein Beispiel für eine Demokratisierung erbracht hat. Aber eine solche Vereinigung, die niemand vorhersagen oder planen, geschweige denn organisieren konnte, ist in der Tat erstaunlich. Keiner wusste, wie die Ereignisse sich weiterentwickeln würden. Alles war spontan. Das ist schwer mit Worten zu beschreiben.
- Sie waren selbst sehr aktiv in die Proteste involviert, auch mit einem Hungerstreik. Immer wieder heißt es, Sie seien gekauft oder dazu gezwungen worden.
- Ich mache nur das, was ich will. Man kann mich nicht kaufen. Ich erkenne meinen Wert nicht in Geld. Geld hat für mich keine Bedeutung. In Wirklichkeit möchte ich möglichst weit von der Politik entfernt sein. Ich bin ein Mensch der Kunst. Aber ich wusste nicht immer, was in meinem Namen gemacht wurde – das war jedoch schon vor der Revolution so. Mich hat das alles sehr betrübt und empört. Auch deshalb habe ich die Revolution unterstützt.
Der Hungerstreik entstand aus meiner eigenen Initiative, um die Aufmerksamkeit Europas auf uns zu ziehen. Die Situation bei uns hatte sich sehr zugespitzt und man musste schnell handeln. Ich bin keine politische Figur, aber wenn man mich heute mit der Revolution assoziiert, ist das toll, denn sie war einer der markantesten Eindrücke in meinem Leben, so wie der Sieg beim Eurovisions-Songcontest.
- Sie treten viel im Westen auf. Bemerken Sie eine Veränderung in der Wahrnehmung der Ukraine?
- Sehr sogar, besonders übrigens in Deutschland. Wir haben schließlich auch etwas zu bieten: eine fantastische klassische Musik, eine große Kultur, eine wunderbare Folklore und Traditionen. In Europa blitzt ein Interesse auf. Bisher wusste man sehr wenig über die Ukraine, und das, obwohl wir ein riesiges Land mit immerhin fünfzig Millionen Einwohnern sind.
- Wie sehr unterscheidet sich die Ukraine Ihrer Ansicht nach von Westeuropa?
- Man kann und muss die Ukraine als ein europäisches Land ansehen. Denn sie ist eine demokratische Gesellschaft, die gezeigt hat, wie die Leute zur Freiheit und zur Demokratie stehen – zu den Normen, nach denen Europa lebt. Gleichzeitig hat die Ukraine ihre Besonderheiten und ihre Kultur. Sie ist ein sehr exotisches Land und dennoch gleichzeitig ein Teil Europas.
- Sie haben unter anderem sehr viel mit der ukrainischen Jugend zu tun. Wo sieht diese ihre Zukunft?
- Sehr viele versuchen in Europa zu studieren oder zu arbeiten und kommen dann übrigens in die Ukraine zurück. Die Mehrheit will der europäischen Familie angehören.
- Aber im Osten der Ukraine denkt man anders …
- Die Jugend der Ukraine ist progressiv, egal ob im Osten oder Westen. Ich trete oft im Osten des Landes auf, wo während der Revolution andere Meinungen vorherrschten. Ich werde dort wunderbar aufgenommen, sie singen meine Lieder. Sie sind stolz auf meine Siege. Ich liebe sie, sie lieben mich. Der Blick der Jugend war immer schon in die Zukunft gerichtet, sie war daran interessiert, dorthin zu streben, wo ihr Wissen, Erfahrung und unterschiedliche Möglichkeiten offen standen. Europa verkörpert das für sie. Wir werden unsererseits mit Vergnügen und großem Interesse Europa unseren Beitrag darbieten, gemeinsame Unternehmen durchführen. Ich bin übrigens in sehr vielen Projekten mit Österreich involviert, habe neue Show-Programme für Deutschland, Belgien, Holland, England und sogar die Türkei erarbeitet …
- Welchen Beitrag kann die Ukraine zur EU leisten?
- Wissen Sie, mir schien manchmal, dass Europa ein bestimmtes Entwicklungsniveau erreicht hat, dann eine gemütlichere Gangart eingeschaltet hat und jetzt mit einer bestimmten Geschwindigkeit auf einem schönen, ebenen Weg gleichmäßig und gelassen dahinfährt. Mir scheint, man kann so fahren, aber nicht lange, denn man braucht auch immer wieder etwas Neues – frischen Wind, frische Gedanken und Ideen. Die ruhige Bewegung Europas ruft in mir manchmal sogar den Gedanken wach, dass viele Leute gar nichts verändern wollen. Vielleicht fürchtet sich Europa auch vor etwas Neuem. Das ist mir nicht immer verständlich, denn ich bin ein Mensch, der Veränderungen liebt. Man kann einen gewissen Abschnitt des Lebens ausgeglichen, geplant und organisiert durchlaufen, aber man will dann doch auch immer wieder einmal etwas ändern. Jede einsetzende Veränderung bedeutet Evolution, die Entwicklung der Menschheit.
Die Ukraine hat eine derart reiche Geschichte und Kultur und außerdem ein solches Potenzial an Menschen: Wenn wir der EU beitreten, wird dies eindeutig eine gewisse Entwicklung für alle bedeuten.
- Sie treten auch in der – weitgehend autoritären – GUS auf. Wie nehmen Sie dort die Stimmung der Leute auf?
- Ich war in Georgien, in Moldawien, in Kirgisien; jetzt fahre ich nach Aserbaidschan. Natürlich wollen sich alle bewegen und entwickeln. Alle haben interessante Ideen, gemeinsame europäische Ideen. Ich kann nicht für ein anderes Land sprechen, aber ich habe diese Meinungen und Gedanken gehört.
- In Russland auch?
- Es ist sehr schwer, die Lage in Russland zu beurteilen. Und zwar nicht, weil ich mich davor fürchte, einen Kommentar zur Situation abzugeben, sondern eher weil Russland ein sehr riesiger Staat ist – mit großen Ambitionen, mit einer riesigen Kultur; ein großes Imperium mit großen Traditionen. Daher gibt es dort sehr unterschiedliche Meinungen: solche, die die orange Farbe für immer verbieten wollen; andere, die auch ihre Revolution haben wollen. Russland ist sehr heterogen und groß, je mehr Freiheit in Russland herrscht, umso besser wird es für alle sein.
Wie auch immer, sobald irgendwo Revolutionen in Gang kommen, werde ich in Zukunft zu Gott beten, dass alles ruhig und friedlich abgeht.
Eduard Steiner (geboren 1968) ist für die österreichische Tageszeitung „Der Standard“ in Moskau stationiert. Als Korrespondent betreut er die Gemeinschaft der Unabhängigen Staaten und das Baltikum.

Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,September 2005
Link:REPORT online - Link:Ruslana -